Nachhaltigkeit bei Veranstaltungen – mehr als grün

Eventmanagement  |  23/05/2022

Wie steht es eigentlich um Nachhaltigkeit bei Veranstaltungen? Und konzentrieren wir uns zu sehr auf den “grünen” Aspekt? Warum ist der “Rest” mindestens genauso wichtig? Fragen über Fragen, die dir in diesem Beitrag Kerstin Hoffmann-Wagner beantwortet. Schau mal rein – mir hat es eine ganz neue Sichtweise ermöglicht.

Eine kurze Definition: Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit, so kannst du es u.a. bei wikipedia nachlesen, ist „ein Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme vor allem von Lebewesen und Ökosystemen gewährleistet werden soll. “ Mittlerweile ist Nachhaltigkeit jedoch viel mehr. Denn heute gehören dazu auch die 17 globalen Zielen für eine bessere Zukunft – verabschiedet in der „Agenda 2030“. Dazu zählen neben den ökologischen auch ökonomische und soziale Aspekte. D.h. Nachhaltigkeit ist weit mehr als “grüner handeln”. Und damit kennt sich Kerstin Hoffmann-Wagner dank ihrer CSR-Weiterbildung und ihrer langjährigen Tätigkeit in diesem Bereich bestens aus und berät Unternehmen, wie sie ganzheitlich nachhaltig werden können. Warum das so mega wichtig ist und was es konkret für Nachhaltigkeit bei Veranstaltungen bedeutet, erfährst du in diesem Beitrag.

Global Goals for sustainable development
Global Goals for sustainable development

 

Wer interessiert sich momentan für Nachhaltigkeit. D.h. wer lässt sich derzeit beraten? Und warum?

Im Wesentlichen gibt es drei Gründe, warum Unternehmen sich von mir rund um das Thema Nachhaltigkeit beraten lassen:

  • intrinsisches Verständnis
    Es gibt Menschen und Unternehmen, die verstanden haben, wie wichtig Nachhaltigkeit ist.
  • Druck von außen
    Es gibt eine gesetzliche Vorschrift oder ich bin in einem zuliefernden Unternehmen tätig und muss mich in die Richtung Nachhaltigkeit bewegen.
  • Marketing-Gagdet
    Außerdem gibt es viele, die es noch als Marketing-Gagdet nutzen, ohne dass hier wirklich nachprüfbare Maßnahmen erfolgen.

Zu mir kommen vor allem Unternehmen, Verbände oder Stiftungen, die sich für das Thema soziale Nachhaltigkeit interessieren. Häufig fragen diese mit dem Fokus auf Inklusion an – also z. B. barrierefreies Event-Management. Allerdings trenne ich soziale Nachhaltigkeit nicht von den anderen beiden Aspekten der Nachhaltigkeit; der ökologischen und der ökonomischen.

Warum trennst du nicht zwischen sozialer, ökonomischer oder ökologischer Nachhaltigkeit?

Die meisten von uns fangen beim Thema Nachhaltigkeit mit dem ökologischen Aspekt an. Doch das ist zu kurz gedacht und es ist auch viel komplexer und teurer, wenn ich die drei Aspekte nacheinander betrachte und optimiere.

Ein Beispiel:
Will ich als Veranstalter*in meine Teilnehmenden dazu bewegen, ihre Anreise “grün” zu gestalten, ermutige ich diese mehr den ÖPNV und die Bahn zu nutzen. Allerdings sind zum Beispiel in Hessen (dem Bundesland, in dem ich wohne und arbeite) circa 50 Prozent der Bahnhöfe sind nicht barrierefrei. Die Konsequenz? Ein Teil der Teilnehmenden können zu deinem Event einfach nicht anreisen. Deshalb versuche ich, das stets ganzheitlich zu sehen und so auch meinen Kundinnen und Kunden in der Beratung zu vermitteln.

Ein zweites Beispiel:
Wenn ich als Unternehmen, Veranstaltende oder Planende nachhaltig kommuniziere, also z. B. ohne Reisen, papierlos, sparsam Daten erzeuge und speichere, grünen Strom und grüne Server nutze, ist das zweifelsohne eine gute Sache. Klammere ich den sozialen Aspekt aus, wäre meine Kommunikation nicht barrierefrei oder geschlechterneutral. Und dann erreichte ich deutlich weniger Menschen . Das wäre schade, oder?

Dieses Phänomen ist übrigens als “Carbon Tunnel Blick” bekannt. D.h. wir konzentrieren uns so sehr darauf, CO2 einzusparen, dass alles andere hinten runterfällt. Das ist wenig hilfreich für alle anderen Themen und Personen. Aber um es klar zu stellen: Es ist gut und richtig, dass wir uns um Nachhaltigkeit kümmern. Doch es darf nicht der einzige Handlungsstrang sein. Die Dinge sind voneinander abhängig und deshalb müssen wir alles von Anfang an betrachten und optimieren.

 

Carbon Tunnel Blick

 

Müssen wir die Themen und Maßnahmen bei Events viel ganzheitlicher planen?

Unbedingt!

Mir erscheint es ein wenig so, als würden wir in der Eventbranche, als würden Planende, Veranstaltende und Dienstleistungsfirmen die Themen nacheinander abarbeiten. So als wären es Trends.

Erst war Digitalisierung wichtig, dann kam mit 9/11 das Thema Sicherheit auf die Agenda, mit Corona wurde Hygiene wichtig und nun kümmern wir uns um grüne Nachhaltigkeit und dann um das Thema Inklusion. Doch weder Events noch die angesprochenen Bereiche kann und sollte man isoliert betrachten. So wird ein Event wirklich nachhaltig auf allen drei Sektoren – statt nur die CO2-Werte zu optimieren.

Ist Nachhaltigkeit komplizierter und teurer für die Events und die Veranstalter?

Nicht, wenn du es ganzheitlich siehst und umsetzt. Schau dir zum Beispiel die Verleihung des Deutschen Filmpreises an. Die Veranstaltenden setzten auf fleischloses Catering, haben so enorm viel CO2 eingespart, allerdings auch Kosten. 

Der wichtigste Aspekt dabei ist jedoch, der zeitliche. Es ist entscheidend, wann du etwas in deiner Planung änderst. Je später, desto teurer wird es – und es sieht darüber hinaus vielleicht auch nicht gut aus. Es geht auch hier wieder darum, dass du alle Maßnahmen ganzheitlich siehst.

Hier noch ein Beispiel: Die nachhaltige Bühne. Willst du beispielsweise als eine deiner Maßnahmen, die Bühne beim Event nachhaltig gestalten, kannst du zum Beispiel zu Miet-Elementen greifen und zu recyclebaren Materialien. Fällt dir jedoch erst kurz vor dem Event ein, dass du noch eine*n Referent*in im Rollstuhl erwartest, muss die Bühne nochmal umgeplant werden. Das wird teurer als hättest du es von Anfang an so geplant, dass es für alle eine Rampe gibt. Für die Technikunternehmen schon beim Aufbau und für alle Speaker während des Events. So ganzheitlich geplant, kann deine Bühne auch gleich richtig chic umgesetzt werden.

Bei ökologischen Aspekten verhält es sich genauso. Die Daumenregel: Später ist meist schlechter, gestückelt und teurer.

 

Ab 2024 gilt die CSR-Berichtspflicht auch für KMU.

 

Warum ist Barrierefreiheit “plötzlich” so wichtig?

Das kommt vielen nur so vor. Barrierefreiheit ist keineswegs “plötzlich” wichtig. Denn Inklusion ist ein Menschenrecht, d.h. du als Veranstalter*in darfst keinen ausschließen und jeder und jede kann teilnehmen und teilhaben. Die soziale Säule ist ein fest verankerter Teil der Nachhaltigkeit. D.h. da können wir nicht diskutieren, ob wir ein Event auch unter sozialen Aspekten nachhaltig umsetzen, sondern wie wir es schaffen. Von den 17 Nachhaltigkeitszielen, kurz den SDGs, betreffen 6 davon die soziale Gerechtigkeit. Das war vielleicht vielen bisher nicht bewusst.

Wer sich jetzt fragt “Wie viel Tickets gehen uns denn jetzt verloren, wenn wir nicht barrierefrei sind?”, stellt die falsche Frage. Vielmehr geht es darum, in allen Aspekten nachhaltig zu sein. D.h. ich als Veranstalterin spare CO2 und nehme auch alle Menschen mit, die Interesse an meinem Thema haben. Übrigens: Ist deine Erreichbarkeit nicht barrierefrei, kommen Menschen mit einer eingeschränkten Mobilität natürlich erst gar nicht zu deinem Event. Deshalb fiel es vor Ort bisher auch kaum auf, dass wir Menschen außen vor lassen.

Darüber hinaus ist Barrierefreiheit, als Teil der Nachhaltigkeit, so wichtig, weil wir eine neue Generation auf den Arbeitsmarkt eintreten sehen, die an unseren Events teilnehmen und Barrierefreiheit einfordern werden. Ich merke das schon anhand der Anfragen nach Experteninterviews für Abschlussarbeiten, die sich häufig mit Inklusion, Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit beschäftigen. Kommen diese Menschen auf den Arbeitsmarkt, erwarten sie natürlich auch nachhaltiges Agieren von ihren Arbeitgebern und von den Veranstaltern. Dazu gehören auch die Arbeitsbedingungen für die Stagehands oder die flexiblen Arbeitszeitmodelle, die Teilzeit und Vereinbarung von Familie und Beruf ermöglichen. Diversität wird heute gelebt. Das muss ich abbilden. Auch bei Events – in der Planung und natürlich auch auf der Bühne.

 

Green Recruiting wird immer wichtiger

 

Außerdem führt der demografische Wandel dazu, dass wir immer älter werden und länger aktiv sind. Darauf müssen sich auch unsere Veranstaltungen einrichten. Egal ob bei der Mobilität oder ob bei mehr Kontrasten und größeren Schriften auf unseren Websites.

Inwiefern hilft uns die Digitalisierung auf dem Weg zur Nachhaltigkeit?

Die Digitalisierung hilft uns, Nachhaltigkeitsaspekte abzudecken. So kannst du als Veranstalter zum Beispiel Teile deines Programmes streamen und live oder On-demand anbieten. Das führt zu einer höheren Reichweite bei gleichzeitig reduziertem CO2-Ausstoß durch die An- und Abreisen. Digitalisierung kann auch dazu führen, dass dein Event barrierefrei wird, weil deine Event-App und deine Online-Tools barrierefrei gestaltet sind und so ganz neue Zielgruppen erreichen.

Übrigens gilt ab 2025 das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das dazu verpflichtet, dass digitale Tools und Dienstleistungen für Verbraucher barrierefrei sein müssen. Unter Umständen wird dies auch App-Anbieter betreffen. Eine gute Sache, die leider nicht von allein kommt, sondern den Druck von außen kommt.

Trotzdem: Nicht jedes digitale Tool oder Online-Event ist automatisch nachhaltig. Auch diese Lösungen verbrauchen Ressourcen.

Ab 2025 müssen auch digitale Tools nachhaltig sein.

 

Wie viel GreenWashing beobachtest du?

Ja, auch ich sehe GreenWashing.

Was meine ich überhaupt mit GreenWashing? Darunter verstehe ich Unternehmen, Aktionen oder Events, die nur darüber reden nachhaltig zu sein und nicht wirklich etwas unternehmen. Oder – und das kommt ebenfalls vor – wenn Unternehmen lediglich den Part der Kompensation umsetzen. Denn Nachhaltigkeit heißt ja:

Reduce, Reuse, Recycle – und erst wenn ich das alles erfolgreich umgesetzt habe, kann ich den Rest kompensieren. D.h. zuerst reduziere ich meinen CO2-Fußabdruck und sorge dafür, dass auch meine Angestellten fair bezahlt werden, und dann kompensiere ich. Nochmal: Nur den Teil, den du nicht mehr reduzieren kannst, den kompensierst du. Fängst du aber gleich mit dem Kompensieren an, hast du das klimaschädliche Verhalten gar nicht reduziert oder abgestellt. Wir können einfach nicht so viel kompensieren, wie wir momentan verbrauchen. Wir müssen unseren Ressourcenverbrauch drastisch senken und zusätzlich kompensieren. Nur auf den letzten Part zu setzen, hilft leider nicht (mehr). Und solch ein Verhalten ist ganz klar GreenWashing.

 

GreenWashing

Am besten wäre übrigens der “Cradle to cradle”-Ansatz, d.h. ich führe etwas dem Ressourcenkreislauf wieder hinzu.

Übrigens gibt es auch SocialWashing. D.h. ich tue nur so, als würde ich mich um die sozialen Aspekte meines Events, meiner Angestellten, meiner Dienstleistungsunternehmen etc. kümmern. Hier hinein fällt auch, dass Eventplanende Referent*innen nach einem Vortrag ohne Honorar anfragen. Das ist kein faires Agieren, denn der Veranstaltende erhält wertvolles Wissen, dass er an die Teilnehmenden weitergibt und der*die Referent*in investiert wertvolle Zeit und vor allem Expertise ohne eine Gegenleistung.

Kann ich als nachhaltiger Veranstalter privat noch in den Flieger steigen?

Eine gute und schwierige Frage. Kann ich noch mit dem Auto fahren? Noch Fleisch essen?
Wer 100% nachhaltig agiert, kann kein Auto fahren, kein Fleisch essen, kein Plastik kaufen … – kaum einer kann das alles.

Mit meiner Familie fahre ich übrigens seit Jahren, ach seit Jahrzehnten, in Deutschland in Urlaub und steige auch innerhalb von Deutschland nicht in den Flieger. Allerdings wollen wir vielleicht im kommenden Jahr tatsächlich einmal innerhalb von Europa in den Urlaub fliegen. Das ist dann für uns ein echtes HIGHLIGHT. Und dann hab ich kein schlechtes Gewissen.

Meine Antwort auf deine Frage lautet also: Wenn wir es bewusster machen, ist es OK. Auch als Veranstaltende nachhaltiger Events kann ich mal in den Flieger steigen. Aber eben nicht permanent.

Der bewusste Umgang mit Ressourcen ist wichtig. Und wenn ich diese dann nutze, dann sollte ich sie bewusst auswählen.

Was sind deine 3 besten Tipps, um nachhaltig zu werden?

Wer nachhaltig werden will, dem empfehle ich unbedingt:

  1. Fang an – mit einem ehrlich gemeinten Commitment.
    Und in einem Unternehmen ist das Chef*innen-Sache.
    Fangt einfach jetzt (!) an und seht es als Prozess. Recherchiert, bildet euch weiter und fangt an. Übrigens gehört schon das zur Nachhaltigkeit: Die Bildung.
  2. Überlege dir, wohin du willst.
    Was will ich erreichen und in welchen Schritten?
    Beginnt mit den low hanging fruits; d.h. mit dem was ihr gut und schnell umsetzen könnt und geht dann mit den Maßnahmen immer einen Schritt weiter.
  3. Nimm alle aus dem Team mit.
    Binde unbedingt deine Mitarbeitenden in das Thema Nachhaltigkeit ein. Oft sind Mitarbeiter sind im Privaten schon viel weiter und kennen sich in einigen Aspekten aus. Nutze dieses Wissen und dieses Engagement und wertschätze es. Daraus kannst du auch leicht einen “Nachhaltigkeitsbotschafter” ableiten, der oder die das Thema nach innen und nach außen trägt. Wichtig ist, dass ihr glaubhaft und transparent kommuniziert und zwar nicht erst dann, wenn alles perfekt ist. Geht lieber Schritt für Schritt und pflegt eine offene Kommunikation. Auch eine gelebte Fehlerkultur gehört dazu.

Fazit

Nachhaltigkeit sollten wir stets ganzheitlich betrachten. Nur dann gibt es eine Lösung, die allen Aspekten gerecht wird und zugleich kostengünstig und attraktiv umgesetzt werden kann. Denk bei deinen Nachhaltigkeitsbestreben unbedingt auch an die sozialen Aspekte, denn diese werden viel zu oft vergessen. Sie sind ein Gewinn für alle, die dein Event besuchen können und wollen.

Die Interviewpartnerin

Kerstin Hoffmann-Wagner
Kerstin Hoffmann-Wagner

Seit 2000 arbeitet Kerstin Hoffmann-Wagner im Eventbereich – seit 2012 selbstständig als Eventberaterin, zertifizierte Trainerin, Autorin und Dozentin. Heute begleitet die Expertin für nachhaltige und inklusive Events Planer*innen und Veranstaltende aus Unternehmen, Verbänden und Institutionen, wie sie ihre Eventprojekte nachhaltig und inklusiv ausrichten und transparent darüber kommunizieren.

Ihre Tätigkeitsbereiche: Zeitgemäße Eventkommunikation | Nachhaltigkeit, Inklusion und Barrierefreiheit für Events und Messen. Sie ist Co-Autorin des Praxisbuchs „Barrierefreie Events“ (SpringerGabler, 2021). Zudem ist Kerstin Hoffmann-Wagner die Gründerin des seit 2017 bestehenden Netzwerks „Women in events D.A.CH.“ für deutschsprachige weibliche Eventprofessionals.

 

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